Endlich ist es soweit. Der erste Gastartikel auf bewusstmacher.de! Yeah!!!
Sybille Johann hat sich erbarmt den aller aller ersten Gastartikel bei mir zu schreiben… 🙂
Genug der leeren Worte von mir! Sybille, Du hast das Wort! Los geht’s:
Die Trotzphase beim Kind beginnt mit ungefähr zwei Jahren und dauert etwa bis zum vierten oder fünften Lebensjahr. Manche sagen, sie hört nie auf… Auf jeden Fall sei sie entwicklungspsychologisch sehr wichtig, denn hier beginnt sich das Ich-Bewusstsein des kleinen Rackers zu entwickeln und es sucht seine Grenzen, die ihm die Eltern dann auch zeigen sollen.
Man geht davon aus, dass ein Kind als unbeschriebenes Blatt auf die Welt kommt und alles was es kann sei ein Ausdruck seiner Gene und der ihn prägenden Umwelt. Damit letztere auch erfolgreich sein kann, tritt sie auf in Form von Eltern, Erziehern, lieben Tanten und strengen Nachbarn. Immer wissend, was gut für den Kleinen ist werden ihm die Do’s & Don’ts des Lebens eingetrichtert. Sag schön „guten Tag“, wasch dir die Hände, warte bis du sprichst, albere nicht herum, zieh dich warm an, klettere nicht auf diesen Baum und tu am besten gleich immer, was ich sage.
Wundert es dich da noch, wenn das Kind mit einer saftigen Trotzphase reagiert?
Stell dir vor, du kommst auf einen fremden Planeten. Du verstehst nicht deren Sprache (bemühst dich aber sehr), kennst nichts von ihren Gebräuchen (bist aber neugierig) und ihre technischen Gebrauchsgegenstände sind dir fremd (aber wenn Knöpfe dran sind, möchtest du sie testen). Voller Elan gehst du nun also in diese Welt und die Außerirdischen freuen sich, dass du da bist, weil irgendwie bist du putzig und bereicherst ihren Alltag. Aber dann wird’s für sie mit der Zeit nervig, weil du deinen eigenen Kopf hast und deinen Ausflug als eine aufregende Entdeckungsreise ansiehst. Damit sie ihr eigenes Ding aber weiterfahren können zeigen sie dir ziemlich schnell, was ihnen an dir passt und was nicht. Wo du hinfassen darfst und wie du dich zu verhalten hast. Und immer öfters schnauzt dich so ein Außerirdischer, bei dem du doch eigentlich ein geladener Gast bist, an. Wie fühlst du dich, so nach ein paar Monaten? Eingeschränkt? Ungeliebt? Gemaßregelt? Unfähig? Ich schätze ja.
Um noch mal auf den Punkt mit dem unbeschriebenen Blatt zurück zu kommen: Du bist keines. Du hattest deinen Heimatplaneten und weißt was du willst und was du kannst. Und jetzt bist du zwar hier, aber du willst ja lernen und entdecken und dich ausprobieren. Dein anfänglicher Enthusiasmus schlägt um in ein gedämpftes Herumschleichen, um nur ja nicht anzuecken. Oder du wehrst dich, weil du ja eigentlich weißt, dass du nicht komplett blöde bist und dich nicht absichtlich in haarsträubend gefährliche Situationen begibst. Der Ärger ist vorprogrammiert.
Als ich fünf Jahre alt war, durfte ich auf den Schulausflug meines drei Jahre älteren Bruders mit. Er und seine Freunde rannten eine leicht abschüssige Wiese zum Fluss hinunter. Ich wollte dabei sein und rannte mit. Meine Mutter setzte mir nach, riss mich zurück und schimpfte mit mir. Es fielen Worte wie „kannst doch nicht“ und „verrückt“. Okay, ich bin inzwischen selbst Mutter von zwei Töchtern und kann verstehen, dass man nicht zusehen möchte, wie eine davon in den Fluten versinkt. Aber ich kann mich noch genau an mein Gefühl und meine Gedanken erinnern: „Glaubt sie wirklich allen Ernstes, ich würde absichtlich ins Wasser springen und könnte nicht abschätzen, wann ich zu bremsen habe?“ Ich war enttäuscht darüber, was sie mir da unterstellte und wütend, dass sie mich von einer Menge Spaß abgehalten hat. (By the way: Mama, ich danke dir trotzdem, dass du immer auf mich aufgepasst hast und ich weiß, dass es nicht böse gemeint war.)
Wenn ein Kind auf die Welt kommt, ist es KEIN unbeschriebenes Blatt. Es kommt nicht aus dem Nichts, sondern es hat ein noch ungetrübtes Bewusstsein über seine Schöpferkraft, sein Potential, sein Vertrauen und SEINE AUFGABE. Es kommt ihm vor, als gehe es auf eine große Entdeckungsreise mit einer Menge Spaß und einer Menge Möglichkeiten, viel zu lernen und in seinem Leben etwas bedeutendes zu erreichen. Und es vertraut den Menschen, die es eingeladen haben – seinen Eltern.
Und dann erlebt es diese Beschränkungen, diese Ablehnung, diese Regeln. Dass ihm nicht vertraut wird. Dass man es für eine tickende Zeitbombe hält, die in unbeobachteten Momenten die Wohnung in Schutt und Asche legen möchte, sich ohne Jacke bei Regen vor ein fahrendes Auto wirft und im Gespräch mit Erwachsenen grundsätzlich das Falsche sagt.
Nur – es kann sich noch nicht äußern. Es kann noch nicht erklären, so wie ein Erwachsener argumentieren würde. Noch nicht mit knappen zwei Jahren. Aber seine Seele spürt diesen Druck immer mehr, dass es für seine Aufgabe eng wird, dass es nicht so läuft, wie es erhofft hatte, und dass ihm einfach keiner zuhört. Die einzige Möglichkeit, die es hat, ist das Wort NEIN. Oder sich auf den Boden werfen und sich weigern. Rumschreien, weil bitten nicht mehr geholfen hat. Um sich schlagen, weil der blöde Pullover zwickt und zu warm ist.
Was die Eltern nicht bedenken ist: das Kind KANN zuhören. Es spürt, wenn es ernst genommen wird, wenn ihm die Welt erklärt wird in seinen Worten (also im Vergleich mit Dingen, die es schon kennt, nicht in Duzi-Deutsch). Und dann muss es sich auch nicht auf den Boden legen und gegen die Welt anstrampeln.
„Parents often think that they are here to guide the little ones. When – in reality – the little ones come forth with clarity to guide you.” (Abraham)
Meine zwei Töchter haben mir etwas sehr wichtiges gelehrt:
„Egal, wie alt ich bin, ich habe einen Grund für das, was ich tue. Ich möchte nicht absichtlich andere verletzen oder unterdrücken. Aber ich habe eine Vision, die ich wahr werden lassen möchte. Am liebsten mit Unterstützung und Anerkennung von ein paar wichtigen Leuten, die mir am Herzen liegen. Wenn ich etwas anderes mache, ist es nicht gegen dich sondern für mich. Wenn du mir zuhörst, höre auch ich dir zu. Und wenn ich meine Ideen mit einbringen kann, gestalten wir uns eine coole neue Welt.“
Also, wenn dich deine Kinder mal wieder dazu bringen, dass du sie in eine Rakete stecken möchtest, nimm Abstand. Sieh mit ihren Augen und versuch zu verstehen, warum sie so handeln. Sie sind noch nicht mit der gleichen Erfahrung ausgestattet wie du und vor allem, sie leben in IHRER Welt. Nimm sie ernst, denn in ihnen steckt eine Seele, die genauso ihre Entwicklung durchgemacht hat wie du. Und ihr könnt nur voneinander lernen, wenn ihr euch nicht ständig bekriegt.
Über den Autor: Sybille ist psychospirituelle Lebensberaterin, Autorin und sie betreibt diesen Blog. Seit jeher hat sie die Frage nach dem Warum beschäftigt. Zu offensichtlich führen wir ein Leben nach vorgegebenen Maßstäben und werden dabei unglücklich. Sie sieht es als ihre Berufung an, unsere Regeln und Werte zu hinterfragen. Sie möchte anderen dazu verhelfen, ihre Verhaltensmuster zu erkennen, denn nur so ist eine Veränderung möglich. Nur wer sich traut, genau nachzufragen, wird auch an das Warum kommen. Und wer das Warum kennt, wird auch das Wie finden.